Die kleine Motte Emily

Wer mag sich in eine kleine, grau-braune Motte verlieben?

Hört gut zu – und viel Spaß.

Eure Dörte

In einem Haus am Meer,
in einer alten Truhe,
lebt die kleine Motte Emily.

Emily liebt ihr zu Hause. Die alte Truhe ist voll mit wunderbaren alten Kleidern, kuscheligen Pullovern, weichen Schals und warmen Mützen. In den Stoffen zu wühlen und an den Fäden und Fusseln zu schnuppern macht ihr so viel Spaß.

Aber die größte Freude bereitet ihr immer ein Besuch von ihrem besten Freund Adrian. Er ist ein wunderschöner Schmetterling. Seine Flügel schimmern in der Sonne in den Farben des Regenbogens. Rot, orange, gelb, grün, blau und violett. Wenn Adrian gemeinsam mit Emily durch den kleinen Blumengarten am Haus fliegt, muss sie ihn immer anschauen, weil er so schön ist.
Heute hat Adrian ganz schlechte Neuigkeiten. Er will sich mit dem Wind auf die Insel weit draußen im Meer hinaustragen lassen. Er meint, dass es dort noch viel schönere Blumen und Gräser gibt, und dass die Sonne dort noch heller scheint. Schon verabschiedet er sich von ihr und flattert davon.

Emily weint um ihren Freund. Sie ist ganz traurig, fühlt sich so allein, klein und farblos. Ihr Bauch ist ganz braun, die Flügel sind grau und haben auch noch viele kleine schwarze Punkte.

„Wenn ich nur auch so schön wäre wie er“, denkt sie, „dann wäre er vielleicht bei mir geblieben“. Sie weint und weint und weint.
„Und der Weg zu ihm ist so weit. Das tiefe Meer. Die hohen Wellen, wie soll ich ihn bloß jemals wieder finden?“

Die Wolken sind so gerührt von ihrem Kummer, dass auch sie anfangen zu weinen. Erst nur ein paar Tropfen, dann ganz viele, und dann überzieht ein gewaltiger Regenschauer den kleinen Garten.

Sie schnäuzt sich, kuschelt sich in ihre alte, vertraute Truhe und schaut traurig hinauf zum Himmel.

Doch da, was ist das? Da bahnt sich ein heller Strahl durch die Wolken.

Und noch einer, und noch einer. Die Sonne möchte so gerne wieder scheinen.

Plötzlich scheint der ganze Himmel zu leuchten, – und ein riesiger Regenbogen bahnt sich seinen Weg durch die dichten Wolken. Er schimmert in den schönsten Farben. Rot, orange, gelb, grün, blau und violett! Er spannt seinen Bogen ganz weit hinaus auf das Meer – bis hinüber zu der kleinen Insel, auf der Adrian jetzt lebt.

„Das ist der Weg!“, denkt Emily und fliegt schnell zum Fuße des Regenbogens. Sie folgt seinen bunten Bögen, fliegt immer höher und höher. Ihre kleinen, braunen Flügel schlagen wie wild. Sie wird immer mutiger, streift die bunt schillernden Reifen und lässt sich durch die Farben tragen.

„Hui, wie schön“, denkt sie. Emily fühlt sich so leicht und schön wie ein Schmetterling – wie Adrian. Die Farben des Regenbogens tuschen ihre braunen Flügel in den wunderbarsten Tönen, die schwarzen Flecken leuchten rot und grün und am grauen Bäuchlein kitzeln sie kleine blau, gelbe Punkte. „Ich sehe so schön aus – wie ein Schmetterling. Adrian wird so stolz auf mich sein“, denkt Emily gerade, als sie schon das Ende des Regenbogens erreicht hat. Sie landet weich auf der kleinen Insel – und findet sich auf einer duftenden Wiese wieder.

Sie schaut sich suchend um – und da kommt Adrian schon angeflattert.

Emily wartet mit klopfendem Herzen. Sie hat den ganzen weiten Weg alleine geschafft, sie fühlt sich so stolz und schön.
Adrian stürmt auf sie los, umarmt sie ganz fest und ist vor Freude ganz aus dem Häuschen. So sehr hatte er seine kleine Freundin vermisst.

Sie fliegen gemeinsam los und Adrian zeigt ihr sein neues Zuhause. Die beiden riechen an den bunten Blüten und streifen durch das duftende Gras.

Emily glüht vor Freude, sie ist so glücklich, wieder bei Adrian zu sein – bis sie über einen kleinen Teich fliegen.
Sie sieht ihr Spiegelbild unten im Wasser. Sie sieht ihre grauen, schwarz gesprenkelten Flügel, das braune Bäuchlein – sie schaut zögernd in Adrians schönes Gesicht, das vor Glück strahlt.

Und da lachen und lachen und lachen sie, und gemeinsam tauchen die Freunde in ihr neues Paradies ein.