Wattwurm Fiedel wird Pirat

Im tiefen Winter machen Wattwurm Fiedel und seine übermütigen Freunde auf abenteuerliche Weise erste Bekanntschaft mit Ebbe und Flut.

Viel Spaß.

Eure Dörte

Schon seit Tagen hatte es gestürmt – dicke Regentropfen prasselten auf das Dach der Höhle und es war bitter, bitterkalt.

Fiedel war erst ein paar Tage alt, als er das erste Mal seine kuschelige Höhle verlassen konnte. Das Wetter hat sich beruhigt und er bohrt sich mit seinem Kopf durch das feuchte Dach.

„PLOP!“ Er streckt seinen Kopf durch die Öffnung, schaut sich vorsichtig um und sieht rings um sich herum nur feucht glitzerndes Wattenmeer!

Ganz in der Ferne steht der rot-weiß geringelte Leuchtturm auf dem Festland. Ganz oben aus dem Fenster leuchtet ein helles Licht, um den Schiffen den Weg zu zeigen.

„Wo seid ihr denn alle?“, ruft er laut. „Haaaallo!“

Und schon macht es rings um ihn herum „PLOP, PLOP, PLOP PLOP“!! Und lauter kleine Ringelwürmer lachen ihn aus ihren kleinen Watthäufchen an.

„Nix los hier“, ruft er seinen Freunden zu, „nicht mal Wasser zum Planschen“, als sich plötzlich neben ihm der weiche aufgeweichte Sand wabernd bewegt und ihn zwei kleine Augen anstarren.

Es ist der alte Steinbutt Hans.

Hans lebt schon seit Jahren hier und buddelt sich am liebsten im weichen Sand des Watts ein. Mit seinen kleinen Augen auf der linken Seite des Kopfes kann er alles genau beobachten.

„Seid doch nicht so ungeduldig, das Wasser kommt doch schon in 6 Stunden wieder und dann habt ihr mehr Wasser um euch herum, als euch lieb ist!“, erklärt er mit rauer Stimme.

„Warum?“, rufen alle kleinen Wattwürmer gleichzeitig.

„Na, weil der Mond so viel Kraft hat, dass er das Wasser ungefähr alle zwölf Stunden zum Spielen holt, und wenn er keine Lust mehr hat, lässt er das Wasser wieder ablaufen. Und das macht er so zwei mal jeden Tag. Immer wieder. Er kann gar nicht genug davon bekommen, der Mond!“

„Hmmm“, grübelt Fiedel gerade, als ihm etwas in der Ferne auffällt. „Das schauen wir uns doch einmal genauer an“, spornt er seine Freunde an.

Kurz darauf stehen sie vor einer großen Eisscholle. Voller Neugierde krabbeln sie alle drauf und erkunden das neue Spielzeug. Sie spielen Verstecken, graben sich in das dicke Eis, schlecken an den getauten Tropfen, rutschen auf einer kleinen Eisbahn und vergessen beim Spielen total die Zeit.

Bis sich auf einmal die ganze Eisscholle unter ihnen zitternd bewegt. Sie vibriert, dreht sich, macht knirschende Geräusche und fängt plötzlich ganz fürchterlich an zu schaukeln!

„Hui, was ist das denn?“, rufen die kleinen Wattwürmer ängstlich.

„Die Flut kommt“, brummt Hans. „Haltet euch gut fest!

Und schon merken die kleinen Wattwürmer, wie die Eisscholle von einer unsichtbaren Kraft getragen wird und sich ganz schnell in Richtung Festland bewegt. „Juhu“, jubelt Fiedel, „das macht Spaß!“

Seine Freunde klammern sich noch ängstlich an das Eis – bis die Scholle mit einem lauten „Rummms!“ ans Festland prallt. Dort verharrt sie eine kurze Weile. – Und noch bevor die Freunde sich besinnen können, strömt das Wasser schon wieder hinaus auf das offene Meer. Aber mit einer viel größeren Geschwindigkeit als zuvor. Wo soll diese Reise nur hingehen?

Jetzt wird es Fiedel aber auch ganz mulmig im Ringelwurmbauch. Er schaut sich suchend um und fängt dann ganz laut an zu rufen „HAAAANS, HAAAANS, hilf uns!“. Und dann noch einmal „ HAAAAANS“, rufen alle zusammen.

Das Wasser um die Eisscholle herum sprudelt von dem Sog – und plötzlich tauchen die Augen von Hans auf. Die Freunde schauen ihn erleichtert an. „Na, Jungs, was ist denn hier los?“, brummelt er.

„Wir werden abgetrieben. Das Wasser zieht uns ganz schnell auf das offene Meer hinaus. Wir wollen nach Hause!“, rufen die Würmer voller Angst.

„Ja, ja, das Wasser. Ebbe und Flut darf man nie unterschätzen“, brummt Hans, aber seine Augen leuchten. „Ihr kommt doch aus dem Meer, dann müsst ihr auch damit umgehen können.“

Die Freunde überlegen kurz, dann hat Fiedel die zündende Idee. Er zeigt in die Ferne. „Da, ganz klein und weit weg sehe ich noch den Leuchtturm, da müssen wir wieder hin … ..Hans, du musst uns helfen.“

Und schon springen alle hin und her.

„Wir sind Piraten auf einem Segelboot.“

Fiedel klebt sich eine kleine Alge aufs Auge und bindet sich Seegras um den Kopf, die anderen tun es ihm nach. – Schwupps – sehen sie aus wie richtige Piraten.

Einer hält seinen Schwanz als Steuer ins Wasser. Zwei Würmer stellen sich übereinander hin. Fiedel schnappt sich den alten Steinbutt Hans, der sich zwar kräftig windet, aber er gibt mit seinem platten Körper ein prima Segel ab.

Schließlich lässt er sich auf das Spiel ein und mit einem Lächeln in den kleinen Augen und einem verschmitzten Brummen um den Mund findet er sich mit seinem Schicksal ab.

„Ab geht die Fahrt, Jippie“, rufen alle, als der Wind in das pralle „Segel“ greift und die Eisscholle mit ihrer merkwürdigen Fracht wieder in Richtung Festland treibt.

„Es funktioniert, Hans halte durch“, ruft Fiedel und schwenkt seine Seegraspiratenmütze. „Bald haben wir es geschafft“.
Der rot-weiß gestreifte Leuchtturm kommt ganz schnell näher, das Licht aus seinem Turmfenster blinkt immer heller. Auf einmal lässt sich Steinbutt Hans mit einem riesigen „Plumps“ ins Wasser fallen.

„Wir sind angekommen, wir sind wieder zu Hause“, jubeln alle zusammen.

Hans dreht sich noch einmal träge um, schaut die Freunde in ihrer Piratenverkleidung an und sagt ganz leise: „Unterschätzt niemals die Kraft des Wassers. Ihr habt heute gemerkt, wie schnell es kommt und mit welcher Kraft es auch wieder abfließt. Jeden Tag, immer wieder, etwa alle 12 Stunden kommt und geht es. Es macht viel Spaß im Wasser zu spielen – aber seid immer wachsam – achtet auf die Zeichen.“

Dann dreht er sich um, taucht unter und vergräbt sich im Schlick, um sich von der aufregenden Reise auszuruhen.

Die Freunde schauen sich nachdenklich an. Fiedel nimmt langsam seine Algenaugenklappe ab, zieht sich die Seegrasmütze vom Kopf und streicht sich verlegen den Bauch. „Das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Ab nach Hause Jungs.“

Und alle flitzen schnell wieder hinab in die vertraute Höhle im Wattenmeer. Das Licht im Leuchtturm dreht weiter seine Runden im Abendlicht. – Und Fiedel träumt von seinem Piratenabenteuer.